Die Idee, digitale Transformation auf Prinzipien des Lean-Managements zurückzugreifen liegt nah. Das Problem ist nur, dass das nicht ohne Weiteres funktioniert. Lean-Management wurde in einem Umfeld entwickelt, in dem wohldefinierte Prozesse zu einer immer größeren Perfektion getrieben werden. Eine Variante, in der das besonders deutlich wird ist der Lean-Six-Sigma-Ansatz. Mit statistischen Methoden wird hier die Standardisierung und Fehlerfreiheit zu ungeahnter Präzision geführt.
Digitalisierung ist ebenfalls ein Prozess, aber keiner, der bereits festgeschriebene Ergebnisse produzieren soll, sondern der eine Transformation des Geschäftsmodells ermöglicht. Es wird Neuland betreten und erkundet. Das ist ohne eine gewisse Offenheit im Ergebnis, ohne Suchbewegung und ohne Fehler und Fehlertoleranz nicht möglich. Für ein derart exploratives Vorgehen können Methoden geeignet sein, die in den letzten Jahren in der Startup-Szene in Kalifornien, London, Tel Aviv oder Berlin entwickelt und erprobt worden sind. Auch hier gibt es einen Lean-Ansatz, das Lean-Startup-Konzept, das Eric Ries 2011 vorgestellt hat. Es ist sehr pragmatisch und basiert auf den Erfahrungen von Startups, die auf der Suche nach einem rentablen Geschäftsmodell und einer Wachstumsstrategie sind.
Lean Startup ist ein immenser Fortschritt. Neben dem Lean-Management-Prinzip, Verschwendung zu vermeiden liegt der große Wert darin, den Innovationsprozess messbar und damit steuerbar zu machen.
Dennoch kommt es vor, dass das Lean-Startup-Modell nicht vollständig passt. Es postuliert sehr große Freiheit in der Suche nach einem funktionierenden Geschäftsmodell und Experimente mit rudimentär entwickelten Produkten, die Kunden angeboten werden. Beides kann für ein etabliertes Unternehmen vernichtend wirken, wenn es am falschen Platz oder nicht in der richtigen Art und Weise eingesetzt wird. Unfertige, fehlerhafte Produkte zerstören ein Image, das auf Qualität und Verlässlichkeit setzt, in kürzestes Zeit. Darüber hinaus können Produkte, die nicht zum Portfolio des Unternehmens passen, den Markenkern schwächen.
Die Kombination geeigneter Methoden aus beiden Welten öffnet Wege, wie Digitalisierung in einen sichereren, ressourcenschonenden und erfolgversprechenden Prozess überführt werden kann, der in einer für bestehende Unternehmen akzeptablen Art und Weise managebar ist und dennoch genügend explorativen Freiraum ermöglicht. Die folgende Tabelle zeigt einige wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den drei Ansätzen Lean Management, Lean Startup und Digitalisierung lean.
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Lean Management |
Lean Startup |
Digitalisierung lean |
Situation des Unternehmens |
Etabliertes Unternehmen mit klarem Geschäftsmodell und definierten Prozessen |
Neues Unternehmen in der Phase der Selbstfindung in jeder Beziehung: Geschäftsmodell, Prozesse, Team, Kunden,… |
Etabliertes Unternehmen, das sein Geschäftsmodell gezielt auf Basis bisheriger Tätigkeit erweitern will |
Herausforderung |
Bestehende Prozesse sicher umsetzen und verbessern |
Erfolgversprechendes Business Modell finden (Engine of Growth) |
Neue, digitale Produkte, Services, Prozesse und Geschäftsmodelle entwickeln, ohne das Bestandsgeschäft zu gefährden |
Kundenfokus |
Alle Kunden |
Early Mover, Neukunden |
Bestandskunden, neue Märkte |
Prozess |
Qualität sicher stellen und steigern (KVP: Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) |
Geschäftsmodell-Varianten prüfen und optimieren (validated Learning; Pivot) |
Geschäftsmodell-Varianten prüfen und optimieren; Passung zu bestehendem Geschäft wahren |
Lean-Aspekt |
Verschwendung und damit Aufwand und Kosten vermeiden |
Schnell und mit geringem Aufwand ein Unternehmen aufbauen |
Schnell und mit vertretbarem Aufwand digitale Geschäftsbereiche erschließen |
Fehlerkultur |
Null-Fehler-Ansatz |
Frühzeitig, oft und billig experimentieren, um daraus zu lernen - Fehler sind Teil des Lernprozesses |
Frühzeitig, oft und billig experimentieren, um daraus zu lernen - Fehler sind Teil des Lernprozesses |
Angestrebter Produktstatus |
Ausgereiftes Produkt höchster Qualität, das nahezu fehlerfrei ist |
Sequentiell erstellte, vorläufige Produkte als Markttests (MVP: Minimum Viable Products / minimal verkaufbares Produkt), die durchaus fehlerhaft sein können und Schritt für Schritt besser werden |
MVP: Minimal verkaufbares Produkt – ein zwar minimales, aber ausreichend ausgereiftes Produkt, das die Marke des Unternehmens unterstützt und nicht gefährdet |
Um erfolgreich zu sein, müssen mindestens 8 Elemente realisiert werden, wenn man die Komponenten aus dem Video oben etwas differenzierter betrachtet.
Auch für neue Technologien gelten alte Prinzipien: Jede Lösung, die nicht den Anforderungen der Nutzer*innen und Kund*innen entspricht, wird am Ende scheitern. Glücklicherweise bieten Methoden wie Design Thinking eine große Vielfalt an Werkzeugen, um Lösungen zu entwickeln, die Kund*innen begeistern.
Das Experimentieren mit neuen Technologien wie KI ist in Ordnung, aber früher oder später müssen Unternehmen eine klare Strategie verfolgen, die im besten Fall benutzer- und kundenorientiert ist. Das führt zu fokussierten Aktivitäten und einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit. Mehr denn je ist es unumgänglich, fundierte Kenntnisse der Technologie zu besitzen, um eine angemessene Strategie zu entwickeln. Lesen Sie mehr über Strategien für die schlanke digitale Transformation...
Daten haben Vorrang. Viele Unternehmen verfügen bereits über viele - oft ungenutzte - Daten, oder es ist relativ einfach, relevante Daten zu sammeln. Datenwissenschaftler*innen können dabei helfen, einen Datenpool sinnvoll aufzubauen (Data Warehouse, Data Lake oder ähnliches). Der Aufwand der Datenaufbereitung sollte nicht unterschätzt werden. Sie kann eine echte Herausforderung sein.
Sobald Daten verfügbar sind, kann die Analytik angewandt werden. Künstliche Intelligenz (KI) ist aktuelle Hype und sie kann erstaunliche Einsichten generieren, aber sie ist nicht die einzige Technik, die nützlich sein kann. Daten-Analyst*innen wissen, welches Verfahren hinsichtlich Datenqualität und Wissensanfrage am besten geeignet ist.
Es ist unwahrscheinlich, dass es von Anfang an ein perfektes Produkt, eine perfekte Dienstleistung und eine perfekte Strategie hat. Anstatt eine digitale Transformation von Anfang bis Ende zu planen, ist es besser, billiger und weniger riskant, einen Weg schrittweise zu bahnen. Stellen Sie Ihre kritischsten Hypothesen auf den Prüfstand. Entwerfen Sie Business-Experimente und lernen Sie aus deren Ergebnissen.
Ein iteratives Vorgehen führt auch zur Minimierung von Verschwendung. Unternehmen können ihre Strategie und Produkte einfach und schnell anpassen, wenn sie sich nicht an einen Projektplan klammern, der sich bereits als falsch erwiesen hat. Lesen Sie hier, wie man eine solche Denkweise etabliert...
Wir sprechen über komplexe Produkte, Dienstleistungen und Strategien in einem hochdynamischen Umfeld und Markt. Alte hierarchische Organisationen mit Silos, die nicht miteinander kommunizieren, erweisen sich als ungeeignet, diese Herausforderung zu meistern. Für Unternehmen, die ihre Kultur verändern wollen, kann dies ein langer und mühsamer Prozess sein. Dennoch sollte diese Schwierigkeit kein Vorwand sein, nicht die ersten Schritte zu wagen.
Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem viele Unternehmen beginnen, manchmal auch, ohne auf die übrigen Punkte zu achten. Unternehmen, die verstanden haben, was Benutzer und Kunden brauchen, die in der Lage sind, relevante Daten zu analysieren, und die sich zu einer agilen Organisation mit einer tief verankerten Lernkultur gewandelt haben, sind gut aufgestellt, digital verbesserte Produkte und Dienstleistungen und völlig neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Eine Fallstudie auf Consulting.de (leider nicht mehr online)
Wie beginnen? Der erste Schritt zu einer agilen Organisation besteht darin, Teams zu befähigen und zu ermächtigen. Am Anfang sind vielleicht ein oder mehrere Moderatoren erforderlich, und es mag sich so anfühlen, als würde die Produktivität enorm sinken, aber am Ende wird es sich auszahlen. Das Ergebnis sind hocheffiziente, funktionsübergreifende, sich selbst organisierende Teams. Im Moment ist dies die beste Art der Organisation, wenn Unternehmen mit hoher Komplexität in einem hochdynamischen Umfeld konfrontiert sind.
Die Entwicklungsfelder der Digitalisierung in der Übersicht
veröffentlicht: 12.11.2020, © Uwe Weinreich